Westfalenpost vom 11.11.2008
Film über Contergan-Opfer im Schlachthof
Soest. Als Contergan-Opfer lebt Wolfgang Schasse in ständiger Angst. Da ist die Angst, dass er sich schwer verletzt und kein Arzt seine Knochenbrüche richtig heilen kann. Und die Angst davor, dass sein Geld im Alter nicht ausreicht. Um auf die Situation aller Contergan-Geschädigter aufmerksam zu machen, holt Schasse den Film „NoBody's Perfect” nach Soest.
„Die meisten von uns wurden um ihre Kindheit gebracht”, sagt Wolfgang Schasse. Der 47-Jährige kam mit einer Zwillingsschwester auf die Welt, die kurz darauf verstarb. „Viele können ihren Wunschberuf nicht ausüben, sind arbeitslos, Sozialhilfeempfänger und leiden unter ständigen Schmerzen.” 2800 „Contis” - wie sich die Contergan-Opfer selbst nennen - leben noch in Deutschland. In Soest fühlt sich Wolfgang Schasse allein auf weiter Flur. „Es soll noch zwei andere geben, aber denen bin ich nie begegnet”, erzählt er. Seit zehn Jahren engagiert sich Schasse aktiv für Contergan-Geschädigte. „Im Vergleich zu England oder Schweden bekommen die Opfer in Deutschland nur ein Drittel der Entschädigungsrente”, erklärt er. „Viel zu wenig.” Wolfgang Schasse zählt auf, welche Mehrkosten er mit seiner Behinderung im Alltag hat: Die Ärmel seiner Pullover müssen abgenäht werden, seine Schuhe sind Extra-Anfertigungen und der Umbau seines Autos war ziemlich teuer. Im Haus braucht er einen Aufzug und zahlreiche weitere Hilfen, die ihm das Alleinleben ermöglichen. Von der staatlichen Rente allein könnte er dies nie bezahlen. Er gehört trotz 100-prozentiger Behinderung zu dem Drittel der Contergan-Opfer, die noch arbeiten können und auch eine Arbeit gefunden haben.
Alle Versuche der Geschädigten, mit der Firma Grünenthal ins Gespräch zu kommen und eine angemessene Opferentschädigung zu erwirken, scheiterten. Die Firma Grünenthal ist bereit, einmalig 50 Millionen Euro für alle Opfer zu zahlen. „Der entstandene Schaden ist nicht wieder gut zu machen”, so Schasse. „Aber wir wollen eine angemessene Entschädigung, damit wir einen ruhigen Lebensabend haben können.” Für Wolfgang Schasse ist wichtig, dass das Thema-Contergan in der Öffentlichkeit bleibt. Aus diesem Grund hat er das Kino im Alten Schlachthof am 15. November gemietet, um ab 17 Uhr den Film „NoBody's Perfect” zu zeigen. Regisseur Niko von Glasow hat elf Contergan-Opfer überredet, sich für einen Aktkalender ablichten zu lassen. Das zwölfte Model war er selbst. Im Film dokumentiert er seine Suche und stellt spannende Persönlichkeiten vor. Viele „Contis” haben ihr Kommen angekündigt. Unter anderem wollen auch die drei Darsteller Andreas Meyer und Bianca Vogel nach dem Film für eine Gesprächsrunde bleiben. Außerdem sprechen Helga und Stephan Nuding und Gihan Higasi über ihren 27-tägigen Hungerstreik im September. „Wenn sie bis dahin nicht einen weiteren Streik ins Leben gerufen haben und ihre Gesundheit mitspielt”, schränkt Schasse ein.
Der Wunsch von Wolfgang Schasse ist es, dass die Menschen sein Engagement verstehen und die Conterganopfer unterstützen im Bestreben um eine gerechte Opferentschädigung durch Grünenthal und die Bundesregierung.